Gummibärchen die Mobbing darstellen

Ver­ant­wor­tung als Basis effek­ti­ver Mobbingprävention

Der Schul­all­tag ist von kom­ple­xen sozia­len Dyna­mi­ken geprägt, mit denen Kin­der und Jugend­li­che regel­mä­ßig kon­fron­tiert wer­den. Ein beson­ders sen­si­bles und her­aus­for­dern­des The­ma ist dabei nach wie vor das Phä­no­men Mob­bing. Eine Form von psy­chi­scher und sozia­ler Gewalt, bei der ein­zel­ne gezielt, wie­der­holt und meist über län­ge­re Zeit aus­ge­grenzt, gede­mü­tigt oder ver­letzt wer­den. Doch was genau ver­birgt sich hin­ter die­sem Begriff? Wel­che Warn­si­gna­le soll­ten Lehrer*innen ken­nen, um recht­zei­tig reagie­ren zu kön­nen, und wel­che Hand­lungs­mög­lich­kei­ten gibt es kon­kret, um Mob­bing nach­hal­tig zu verhindern?


„Wenn du ande­ren etwas Gutes tust, tut es auch dir selbst gut!“

Mit die­sen inspi­rie­ren­den Wor­ten eröff­ne­te Elfrie­de Böh­ler, MA, Lei­te­rin der Koor­di­na­ti­ons­stel­le für Mob­bing CIS Vor­arl­berg, ihren Vor­trag bei uns an der Fach­stel­le NÖ. Die Bot­schaft war klar. Mob­bing ist ein Grup­pen­phä­no­men, wel­ches nicht nur die Schüler*innen, son­dern auch Lehrer*innen und Eltern betrifft. Es liegt in der Ver­ant­wor­tung aller sys­te­ma­tisch invol­vier­ten Par­tei­en, gegen Mob­bing vorzugehen.

Was ver­birgt sich hin­ter dem Begriff „Mob­bing“?

Ein Kon­flikt ist nicht gleich Mobbing.
Zwei Kin­der strei­ten sich auf dem Pau­sen­hof dar­um, wer mit dem Ball spie­len darf. Bei­de sind ver­är­gert, viel­leicht wird sogar etwas lau­ter dis­ku­tiert. Wir erken­nen es han­delt sich um einen sach­ori­en­tier­ten Konflikt.
Wird jedoch ein Kind immer wie­der absicht­lich vom Spie­len aus­ge­schlos­sen, lachen ande­re über sei­ne Klei­dung oder wir es regel­mä­ßig beschimpft, spre­chen wir von Mob­bing. Mob­bing pas­siert nicht nur ein­mal. Mob­bing zieht sich meist über län­ge­re Zeit und zielt dar­auf ab, eine Per­son klein­zu­ma­chen und absicht­lich zu verletzen.

Auch Erwach­se­ne im Arbeits- oder Ver­eins­le­ben kön­nen sol­chen Situa­tio­nen aus­ge­setzt sein. Ein Kol­le­ge wird wie­der nicht zu gemein­sa­men Mit­tag­essen ein­ge­la­den. Über ihn wird heim­lich geläs­tert oder er wird bei Grup­pen­auf­ga­ben sys­te­ma­tisch übergangen.
Der Unter­schied zwi­schen einem Kon­flikt und Mob­bing liegt dar­in, dass ein Kon­flikt grund­sätz­lich jeden betref­fen kann. Er lässt sich meist jedoch offen und gemein­sam lösen. Mob­bing hin­ge­gen ist gezielt, wie­der­holt und häu­fig ver­steckt. Dazu kommt die kla­re Absicht, eine Per­son aus­zu­gren­zen oder zu schädigen

Cha­rak­te­ris­tisch für Mob­bing sind unglei­che Macht­ver­hält­nis­se. Der*die Täter*in übt gezielt Macht aus, wodurch bei den Betrof­fe­nen ein Gefühl der Hilf­lo­sig­keit bzw. Ohn­macht ent­steht. Wäh­rend frü­he­re Stu­di­en aus 2014 davon aus­gin­gen, dass einer von fünf Schüler*innen monat­lich von Mob­bing betrof­fen sind, zei­gen neue­re Daten aus Öster­reich ein klar dif­fe­ren­zier­tes Bild. Laut der HBSC-Stu­die (Health Beha­viour in School-Aged Child­ren) für das Schul­jahr 2021/22 gaben zwi­schen 3 % und 13 % der befrag­ten Schüler*innen unab­hän­gig der Schul­stu­fe an, in den letz­ten Mona­ten mehr­mals in der Schu­le gemobbt wor­den zu sein. (Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Sozia­les, 2021/22)
Dem­nach ist Mob­bing ist kein sel­te­nes Erleb­nis, son­dern betrifft regel­mä­ßig einen spür­ba­ren Teil der Schü­ler­schaft und das in unmit­tel­ba­rer Gegenwartsrelevanz.


Wie kann Mob­bing früh­zei­tig erkannt werden?

Häu­fig erfol­gen Mob­bing­über­grif­fe sub­til und sind daher nicht immer auf den ers­ten Blick erkenn­bar. Umso wich­ti­ger ist es, als Lehr­kraft, Mitschüler*in oder Eltern­teil auf­merk­sam hin­zu­se­hen und Ver­hal­tens­ver­än­de­run­gen, wie Auf­merk­sam­keits­de­fi­zi­te, zurück­ge­zo­ge­nes Ver­hal­ten bis hin zu leich­ter Irri­tier­bar­keit, bewusst wahr­zu­neh­men. Wahr­neh­mung beginnt bereits damit, zu erken­nen, wie Kin­der oder Freund*innen sich in Grup­pen verhalten.
Ob jemand plötz­lich sel­te­ner ange­spro­chen wird oder ein Kind sys­te­ma­tisch bei Spie­len oder Grup­pen­ar­bei­ten über­gan­gen wird. Auch außer­halb des Klas­sen­raums, auf dem Pau­sen­hof, in der Gar­de­ro­be oder online gilt es, auf lei­se Signa­le zu achten.

Wer in sol­chen Situa­tio­nen nur pas­siv reagiert, wie durch Weg­schau­en, sich Raus­hal­ten oder dem Igno­rie­ren von schein­ba­ren Klei­nig­kei­ten läuft Gefahr, die Dyna­mik von Mob­bing unge­wollt zu unter­stüt­zen. Es ist nicht aus­rei­chend, nur zu beob­ach­ten. Erst durch geziel­tes Anspre­chen der vor­herr­schen­den Mob­bing­kul­tur, der akti­ven Kom­mu­ni­ka­ti­on der unter­lie­gen­den Macht­dy­na­mik und das früh­zei­ti­ge Hin­zu­zie­hen von Ver­trau­ens­per­so­nen wird der Kreis­lauf sys­te­ma­ti­scher Aus­gren­zung unterbrochen.

Für betrof­fe­ne Schüler*innen ist Mob­bing ein bedeu­ten­der Kraft­auf­wand. Bis zu 90% ihrer Ener­gie und Auf­merk­sam­keit flie­ßen in Stra­te­gien zum Selbst­schutz, anstatt in den Unter­richt oder ihre sozia­len Kon­tak­te. Die Kon­zen­tra­ti­ons­fä­hig­keit lässt nach, das Selbst­wert­ge­fühl sinkt und die psy­chi­sche Gesund­heit gera­tet zuneh­mend unter Druck. Betrof­fe­ne ent­wi­ckeln dar­auf­hin häu­fi­ger Ängs­te, ver­lie­ren das Ver­trau­en in sich selbst sowie in ihr sozia­les Umfeld. Schluss­end­lich zie­hen sie sich immer stär­ker zurück.


Wel­che Moti­ve lie­gen hin­ter Mobbing?

Das Kern­mo­tiv hin­ter Mob­bing liegt meist in uner­füll­ten Bedürf­nis­sen nach Macht, Kon­trol­le oder Aner­ken­nung. Ent­schei­dend ist dabei, dass Mob­bing immer im sozia­len Kon­text statt­fin­det. Es ist ein Phä­no­men, das erst durch das zufäl­li­ge Zusam­men­tref­fen meh­re­rer Per­so­nen in einem bestimm­ten Umfeld ent­steht, etwa einer Klas­se, einem Team oder einer Grup­pe. Die­se „Grup­pe“ ist dabei kein bewusst geform­tes Kol­lek­tiv, son­dern setzt sich viel­mehr aus allen Anwe­sen­den zusam­men. Dar­un­ter fin­den sich Täter*innen, Betrof­fe­ne und vor allem die Außen­ste­hen­den wie Mitschüler*innen oder Kolleg*innen. Auch wenn die­se Außen­ste­hen­den nicht aktiv am Mob­bing­ge­sche­hen teil­neh­men, neh­men sie häu­fig eine pas­si­ve Beobachter*innenrolle ein. In die­sem Anteil liegt der Kern zur akti­ven Bekämp­fung von Mob­bing. Die­se zufäl­lig ent­stan­de­ne Grup­pe, die Außen­ste­hen­den, besitzt den größ­ten Ein­fluss auf Prä­ven­ti­on und Inter­ven­ti­on. Durch akti­ves Ein­grei­fen jedoch maß­geb­lich zur Been­di­gung beitragen.


Wie funk­tio­niert Mobbing-Prävention?

Effek­ti­ve Mob­bing-Prä­ven­ti­on beginnt dort, wo wir die größ­te Wir­kung erzie­len kön­nen, wie etwa durch die akti­ve Stär­kung der Selbst­be­stim­mung und die Sen­si­bi­li­sie­rung der Außen­ste­hen­den. Früh­zei­ti­ge Inter­ven­tio­nen durch kla­re Bot­schaf­ten wie „Wir tole­rie­ren kein Mob­bing!“ auf Grup­pen­e­be­ne oder durch per­sön­li­che Auf­for­de­run­gen wie „Hör Auf!“ sind ent­schei­den­de Maß­nah­men, die Elfrie­de Böh­ler in ihrem Vor­trag ein­drück­lich ver­mit­tel­te. Je frü­her ein­ge­grif­fen wird, des­to rascher las­sen sich Macht­ver­hält­nis­se wie­der ins Gleich­ge­wicht bringen.

Kla­re Null-Tole­ranz-Regeln und trans­pa­ren­te Kon­se­quen­zen schaf­fen einen siche­ren Rah­men für Ori­en­tie­rung und Schutz der Betrof­fe­nen und dem Wohl der gesam­ten Grup­pen­ge­mein­schaft. Ver­ant­wor­tungs­über­neh­men­de Instan­zen wie Lehr­kräf­te oder die Schul­lei­tung eta­blie­ren die­sen Hand­lungs­rah­men und grei­fen, bei Bedarf, kon­se­quent ein. Betrof­fe­ne Schüler*innen kann dadurch das Gefühl ver­mit­telt wer­den, dass sie gese­hen, geschützt und nicht allei­ne gelas­sen werden.

Eltern unter­stüt­zen, indem sie auf­merk­sam sind, Ver­än­de­run­gen bei ihren Kin­dern ernst neh­men und im Aus­tausch mit der Schu­le bleiben.

Im Umgang mit den Täter*innen sind Stra­fen an sich unzu­rei­chend. Wich­ti­ger ist es, die Täter*innen zu akti­ver Wider­gut­ma­chung und zur Über­nah­me von Ver­ant­wor­tung anzu­lei­ten. Erst dadurch kön­nen Kon­flik­te lang­fris­tig gelöst und wei­te­res Mob­bing­ver­hal­ten wirk­sam ver­hin­dert werden.


Und was ist mit Cybermobbing?

Ein beson­ders span­nen­der Aspekt der Fort­bil­dung war die Erkennt­nis, dass soge­nann­tes „rei­nes Cyber­mob­bing“ nahe­zu nicht exis­tiert. Tat­säch­lich haben fast alle Cyber­mob­bing-Fäl­le ihren Ursprung in rea­len zwi­schen­mensch­li­chen Kon­tak­ten. Gera­de des­halb ist es essen­zi­ell, sowohl in der rea­len Welt als auch im digi­ta­len Räu­men auf­merk­sam zu sein und aktiv gewalt­prä­ven­tiv zu arbei­ten. Das gilt auch in Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­len wie Whats­App, Insta­gram und wei­te­ren Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nä­len von Schüler*innen und Erziehungsberechtigten.


„Wir sind nicht nur ver­ant­wort­lich für das, was wir tun, son­dern auch für das, was wir nicht tun.“

Die­ses zen­tra­le Mot­to von Elfrie­de Böh­ler zog sich als roter Faden durch die gesam­te Fort­bil­dung. Nur wenn alle Betei­lig­ten, sowohl Schüler*innen, Erzie­hungs­be­rech­tig­te, Pädagog*innen und Schul­lei­tung zusam­men­ar­bei­ten, kann Mob­bing nach­hal­tig unter­bun­den und letzt­lich eli­mi­niert wer­den. Die inten­si­ve Fort­bil­dung von Frau Elfrie­de Böh­ler, MA, hat nicht nur mei­nen per­sön­li­chen Blick auf das kom­ple­xe The­ma geschärft, son­dern auch wert­vol­le pra­xis­na­he Stra­te­gien zur Mob­bing­prä­ven­ti­on auf­ge­zeigt. Die Ein­sicht, dass gegen Mob­bing effek­tiv gehan­delt wer­den kann, indem wir die Mehr­zahl der Außen­ste­hen­den klar sen­si­bi­li­sie­ren und zum akti­ven Ein­grei­fen moti­vie­ren, war für mich eine zen­tra­le Erkenntnis.


AUTORIN
Pro­jekt­lei­tung Sucht­prävention & Sexualpädagogik
02742 – 31440 DW 26