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CC0 Alexandra Koch - pixabay.com

Die Fra­ge, ob Schu­len zu den gro­ßen „Trei­bern der COVID-19-Pan­de­mie“ zäh­len oder nicht, wird unter Wissenschafter*innen nach wie vor dis­ku­tiert. Eine län­der­über­grei­fen­de Stu­die (Pre-Print) der ETH Zürich1 stellt Schul­schlie­ßun­gen als ein effek­ti­ves Instru­ment zur Reduk­ti­on der Mobi­li­tät und somit von COVID-19 Infek­tio­nen dar. Die UNICEF jedoch kri­ti­siert den Trend zu erneu­ten Schul­schlie­ßun­gen2. Öster­reich­weit wird Home-Schoo­ling und Distance-Lear­ning seit Herbst 2020 je nach Schul­stu­fe in unter­schied­li­chem Aus­maß praktiziert. 

Doch wel­che Aus­wir­kun­gen haben Schul­schlie­ßun­gen auf das psy­chi­sche Wohl­be­fin­den von Kin­dern und Jugend­li­chen? Wie geht es den Schüler*innen im Home-Schoo­ling? Was sagen Pädagog*innen zum Distance-Lear­ning? Wir wol­len Ihnen einen Über­blick über die Ergeb­nis­se zur Stu­die „Ler­nen unter COVID-19-Bedin­gun­gen“3 eines For­schungs­teams der Fakul­tät für Psy­cho­lo­gie der Uni­ver­si­tät Wien geben. Ach­tung, es fol­gen vie­le Zahlen…

Aktu­el­le Lern­si­tua­ti­on bei den Schüler*innen daheim

An der vier­ten Befra­gung im Schul­be­reich nah­men 13.025 Schüler*innen zwi­schen zehn und 21 Jah­ren teil. Der Fra­ge­bo­gen stand vom 23. Novem­ber bis 6. Dezem­ber 2020 online zur Ver­fü­gung. Da z.B. Schüler*innen ohne ent­spre­chen­de tech­ni­sche Mög­lich­kei­ten an der Befra­gung nicht teil­neh­men konn­ten, ist die Stich­pro­be nicht reprä­sen­ta­tiv. Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass Risi­ko­grup­pen eher unter­schätzt werden.

79,7 % der Schüler*innen lern­ten zum Befra­gungs­zeit­punkt aus­schließ­lich daheim, 11 % gaben an, die Schu­le ein­mal pro Woche zu besu­chen, 5,7 % gin­gen täg­lich zur Schu­le (3,6 % sind zwei bis vier Tage pro Woche an der Schule).

Die Schüler*innen gaben an, sich durch­schnitt­lich 7,1 Stun­den pro Tag mit schu­li­schem Inhalt zu befas­sen – beim ers­ten Home-Schoo­ling im Früh­jahr waren es im Durch­schnitt fünf Stun­den täg­lich. Unge­fähr die Hälf­te (49,5%) habe täg­lich sogar acht Stun­den oder mehr mit schu­li­schen Akti­vi­tä­ten ver­bracht. Je älter die Schüler*innen, des­to mehr Zeit wen­de­ten sie für schu­li­sche Belan­ge auf.

98,7 % der Kin­der und Jugend­li­chen hat­ten einen Com­pu­ter, Lap­top oder Tablet für schu­li­sche Auf­ga­ben zur Ver­fü­gung. 26,1 % der Schüler*innen beka­men kei­ne Unter­stüt­zung beim Ler­nen daheim. Schüler*innen, die Lern-Unter­stüt­zung in der Fami­lie erhiel­ten, wur­den haupt­säch­lich von den Müt­tern unter­stützt (70,9 %).

Bezo­gen auf die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit den Lehrer*innen, gab mehr als die Hälf­te der Schüler*innen an, dass sie sich sehr gut oder gut unter­stützt fühl­ten (52,1 %). 35,6 % der Schüler*innen fühl­ten sich mit­tel­mä­ßig gut unter­stützt und 12,3 % gaben an, sich schlecht oder sehr schlecht unter­stützt zu füh­len (9,5% bzw. 2,8 %). Durch­schnitt­lich waren Schüler*innen cir­ca vier Stun­den pro Tag im direk­ten Kon­takt mit ihren Lehr­per­so­nen (die Band­brei­te reich­te von ein bis zwei Stun­den bis mehr als sie­ben Stun­den pro Tag).

Wie steht es um das Wohl­be­fin­den der Schüler*innen?

Je älter die befrag­ten Schüler*innen waren, des­to eher berich­te­ten sie von Ver­schlech­te­run­gen. Das betraf die gesun­ke­ne Lern­mo­ti­va­ti­on (Moti­va­ti­on und Ener­gie für die Erle­di­gung der Schul­auf­ga­ben), den gestie­ge­nen Leis­tungs­druck und Belas­tun­gen durch zu vie­le Stun­den vor dem Com­pu­ter oder auch die Unge­wiss­heit, wann sie wie­der in die Schu­le zurück­keh­ren dürfen.

44 % der Schüler*innen stimm­ten der Aus­sa­ge „ich füh­le mich gut“ zu („stim­me genau zu“: 22,8 %, „stim­me ziem­lich zu“: 31,2 %). Für 22,9 % der Schüler*innen stimm­te die Aus­sa­ge etwas, wohin­ge­gen 23,1 % der Aus­sa­ge eher nicht und nicht zustimm­ten (15 % bzw. 8,1 %). Vor allem älte­re Befrag­te gaben häu­fig nied­ri­ge­res Wohl­be­fin­den bzw. auch eine Ver­schlech­te­rung des Wohl­be­fin­dens im Ver­gleich zum Lock­down im Früh­jahr an.

Jugend­li­che berich­te­ten eher von Ver­bes­se­run­gen des Wohl­be­fin­dens, wenn sie sich als erfolg­reich beim Ler­nen wahr­nah­men, wenn sie Gestal­tungs­spiel­raum beim Ler­nen erleb­ten und wenn sich der Kon­takt mit ihnen wich­ti­gen Per­so­nen ver­bes­sert hat­te. Es zeig­te sich, dass Oberstufenschüler*innen in all die­sen Berei­chen deut­lich häu­fi­ger Ver­schlech­te­run­gen bemerk­ten als Pflichtschüler*innen.

Der Aus­blick auf die Zukunft

Über den schu­li­schen Leis­tungs­druck mach­ten sich Schüler*innen am meis­ten Gedan­ken. Beson­ders Oberstufenschüler*innen berich­te­ten von Über­for­de­rung, Sor­gen und Ängs­ten, den schu­li­schen Anfor­de­run­gen nicht zu genü­gen. Außer­dem belas­te­te vie­le Schüler*innen die Unge­wiss­heit hin­sicht­lich schu­li­scher Belan­ge (z.B. wie die Matu­ra aus­se­hen wer­de) bzw. die Unge­wiss­heit hin­sicht­lich einer Rück­kehr zur Nor­ma­li­tät. Wei­ters wünsch­ten sich die Befrag­ten, ihre Freund*innen und Ver­wand­ten ohne Ein­schrän­kun­gen tref­fen zu können.

Rück­mel­dun­gen der Lehrer*innenschaft

Ein Groß­teil der befrag­ten Lehrer*innen ist nach eige­nen Anga­ben gut mit dem Unter­richt von zu Hau­se aus zurecht­ge­kom­men. Dies traf umso mehr zu, je bes­ser der Unter­richt mit den eige­nen tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten umsetz­bar war. 84,7 % der Lehr­per­so­nen gaben an, dass sie zuver­sicht­lich wären, den Schüler*innen die rele­van­ten Stoff­in­hal­te ver­mit­teln zu kön­nen. Aber nur 7 % waren zuver­sicht­lich, Schüler*innen mit Pro­ble­men den Stoff gut ver­mit­teln zu können.

Ein Groß­teil der Pädagog*innen gab an, dass die per­sön­li­chen Bezie­hun­gen zu den Schüler*innen wäh­rend des Distance-Lear­nings über­wie­gend posi­tiv waren. Posi­tiv erwähnt wur­de von den Lehrer*innen auch, dass vie­le Schüler*innen deut­lich selb­stän­di­ger wur­den und dass sich die Zusam­men­ar­beit mit den Eltern ver­bes­sert hät­te. Schwie­rig­kei­ten hat­ten die Lehr­per­so­nen damit, ein­zu­schät­zen, wie vie­le Auf­ga­ben Schüler*innen daheim schaf­fen wür­den. Sie sahen sich mit Pro­ble­men kon­fron­tiert, lern­schwa­che Schüler*innen bzw. Schüler*innen mit schlech­te­ren tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten nicht aus­rei­chend unter­stüt­zen zu können.

Aus dem Blick­win­kel der Suchtprävention

Vor­ne­weg wol­len wir die erbrach­ten Leis­tun­gen durch Kin­der und Jugend­li­che, durch Lehrer*innen sowie durch Eltern wert­schät­zen: Alle Betei­lig­ten leis­ten in der aktu­el­len Coro­na-Situa­ti­on sehr viel! Von Dop­pel- oder Drei­fach­be­las­tung auf­grund von Home-Schoo­ling, Home-Office und Haus­halt bis zur Erar­bei­tung von Inhal­ten auf vir­tu­el­ler Basis oder das Zusam­men­le­ben auf engem Raum – jede*r Ein­zel­ne von uns ist gefor­dert, die Her­aus­for­de­run­gen best­mög­lich zu bewältigen.

Im Kon­text von Schu­le liegt der Fokus der­zeit auf der Ver­mitt­lung von zen­tra­len Lern­in­hal­ten. Das ist ver­ständ­lich und nach­voll­zieh­bar. Es bedeu­tet aber auch, dass ande­re wich­ti­ge The­men wenig Berück­sich­ti­gung fin­den – etwa Sucht­prävention und Sexu­al­päd­ago­gik. Sobald es mög­lich ist, sol­len die­se The­men wie­der inten­siv auf­ge­grif­fen werden.

In unse­ren sucht­prä­ven­ti­ven Ange­bo­ten für Kin­der und Jugend­li­che wei­sen wir immer wie­der dar­auf hin, dass die Ent­wick­lung und För­de­rung von Lebens­kom­pe­ten­zen eine wich­ti­ge Stüt­ze ist, damit Abhän­gig­keits­er­kran­kun­gen erst gar nicht ent­ste­hen. Die Situa­ti­on für Kin­der und Jugend­li­che in der Pan­de­mie ist eine schwie­ri­ge. Sie haben Ent­wick­lungs­auf­ga­ben zu bewäl­ti­gen, die in Zei­ten von sozia­ler Distanz und Beschrän­kun­gen ein­fach nicht mög­lich sind. Klei­ne Kin­der ler­nen sozia­le Bezie­hun­gen auf­zu­bau­en und mit Emo­tio­nen umzu­ge­hen. Das ist nur mög­lich in Inter­ak­ti­on mit ande­ren sozia­len Wesen, beson­ders mit Gleich­alt­ri­gen. Kin­der in Volks­schu­len ler­nen Empa­thie, Umgang mit Frus­tra­tio­nen und Stress oder ihre Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­kei­ten aus­zu­bau­en. All die­se Fähig­kei­ten kann man nicht vir­tu­ell im Online-Schoo­ling ler­nen. Auch hier müs­sen direk­te Kon­tak­te vor­han­den sein, um sich selbst zu erle­ben und im Mit­ein­an­der zu erpro­ben. Jugend­li­che haben Ent­wick­lungs­auf­ga­ben im Zuge ihrer Iden­ti­täts­fin­dung zu erfül­len, sie über­neh­men Geschlech­ter­rol­len und bau­en rei­fe Bezie­hun­gen zu Gleich­alt­ri­gen auf, sie berei­ten sich auf eine Los­lö­sung vom Eltern­haus vor. Ob dies im wohl­be­hü­te­ten Zuhau­se oder vor dem Hin­ter­grund von fami­liä­ren Kon­flik­ten und Strei­tig­kei­ten statt­fin­den kann, bleibt den Leser*innen selbst zu beurteilen…

Was bedeu­tet es aus sucht­prä­ven­ti­ver Sicht, wenn Lebens­kom­pe­ten­zen nicht aus­rei­chend geför­dert wer­den? Lebens­kom­pe­ten­zen sind zen­tral für das (psy­chi­sche) Wohl­be­fin­den jeder*r Ein­zel­nen. Sie sind not­wen­dig für die Ent­wick­lung eines posi­ti­ven Selbst­bil­des, um Stress, Kon­flik­te oder Frus­tra­tio­nen zu bewäl­ti­gen, Bezie­hun­gen zu gestal­ten, Pro­ble­me zu lösen, krea­tiv und kri­tisch zu den­ken etc. Kurz und bün­dig: Lebens­kom­pe­ten­zen hel­fen bei der Bewäl­ti­gung von Risi­ko­fak­to­ren. Wenn Risi­ko­fak­to­ren über­wie­gen und kei­ne geeig­ne­ten Mög­lich­kei­ten zur Bewäl­ti­gung zur Ver­fü­gung ste­hen, so ist die Wahr­schein­lich­keit groß, dass uner­wünsch­te Ver­hal­tens­wei­sen zuneh­men und/oder Sub­stan­zen zur Min­de­rung von Stress­si­tua­tio­nen ein­ge­setzt werden.

Die „Coro­na-Kri­se“ dau­ert nun bereits ein Jahr an. Es ist wich­tig, dass nicht nur die Ver­mitt­lung wis­sens­ba­sier­ter Inhal­te geför­dert wird, son­dern dass spe­zi­ell die emo­tio­na­le, die psy­chi­sche und auch die phy­si­sche Gesund­heit der jun­gen Gene­ra­ti­on die Auf­merk­sam­keit erhält, die für ein gesun­des Wach­sen und Rei­fen not­wen­dig ist. Rich­ten wir unse­ren Blick auf das Wohl­erge­hen der Kin­der und Jugend­li­chen und bie­ten wir Unter­stüt­zung an, wenn sie drin­gend benö­tigt wird.

Was kön­nen wir Erwach­se­nen tun, um Kin­der gut durch Kri­sen zu beglei­ten? Infor­mie­ren Sie sich z.B. bei unse­rem kos­ten­lo­sen Online-Eltern­abend zum The­ma „Kri­sen als Ent­wick­lungs­chan­ce und Lern­feld“.

Hel­pli­nes
  • Rat auf Draht für Kin­der und Jugend­li­che: 147 (rund um die Uhr). Auch Eltern kön­nen unter die­ser Num­mer Hil­fe bekom­men, wenn sie in einer Not­si­tua­ti­on sind.
  • Tele­fon­seel­sor­ge: 142 (rund um die Uhr)
  • Bil­dungs­mi­nis­te­ri­um-Hot­line bei Fra­gen zu Schul­pflicht, Schul­be­trieb, Prü­fun­gen etc.: 0800 21 65 95 (Mon­tag bis Frei­tag 9–16 Uhr)

1 Ban­hol­zer, N., van Wee­nen, E., Lison, A., Cen­ede­se, A., See­li­ger, A., Kratz­wald, B., Tscher­nut­ter, D., Sal­les, J. P., Bott­righi, P., Leht­inen, S., Feu­er­rie­gel, S., & Vach, W. (2021). Esti­mat­ing the effects of non-phar­maceu­ti­cal inter­ven­ti­ons on the num­ber of new infec­tions with COVID-19 during the first epi­de­mic wave [Pre­print]. Health Poli­cy. https://doi.org/10.1101/2021.01.15.21249884

2 https://unicef.at/news/einzelansicht/covid-19-unicef-kritisiert-trend-zu-erneuten-schulschliessungen/ abge­ru­fen am 25.01.2021

3 Scho­ber, B., Lüf­ten­eg­ger, M. & Spiel, C. (2020÷21). Ler­nen unter COVID-19-Bedin­gun­gen. Zwi­schen­er­geb­nis­se publi­ziert auf: https://lernencovid19.univie.ac.at/ abge­ru­fen am 25.01.2021

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